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Arbeit mit Ego-States

 "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?"

(Richard David Precht)


 

Therapeutische Arbeit mit Ego-States / inneren Anteilen

Die Ego-State-Therapie (Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen) wurde ab ca. 1980 von Helen und John Watkins zunächst zur Therapie von Traumafolgestörungen entwickelt und spielt auch in der psychodynamischen Traumatherapie PITT (Reddemann) eine wichtige Rolle. Es handelt sich dabei hauptsächlich um eine Kombination von tiefenpsychologischen Grundsätzen mit hypnotherapeutischen und systemischen Ansätzen. Die therapeutische Arbeit mit verschiedenen Selbstanteilen hat sich inzwischen nicht nur auf dem Gebiet der Traumatherapie als effektiv erwiesen und etabliert, sondern zeigt sich auch bei der Behandlung vieler anderer psychischer Probleme als sehr hilfreich.
 

Wie kann man sich das Konzept der "inneren Anteile" vorstellen?

Die Persönlichkeit eines Menschen ist kein geschlossenes System, sondern setzt sich aus verschiedenen Anteilen zusammen - aus Teilpersönlichkeiten, die sich im Lauf des bisherigen Lebens gebildet haben, die meisten davon in der Kindheit.

 

Vielleicht haben Sie schon einmal den Begriff des "inneren Antreibers", des "inneren Kritikers" oder des "inneren Kindes" gehört? Wir haben einige solche inneren Kinder in uns und auch verschiedene innere Erwachsene. Natürlich handelt es sich dabei genau genommen um innerseelische Zustände und keine wirklichen Kinder oder Erwachsene - aber die symbolhafte Vorstellung hilft beim Verständnis der Zusammenhänge und vor allem auch bei der Bearbeitung der Problematiken.

Innere Selbstanteile sind zunächst also etwas ganz Normales und entstehen durch die übliche Persönlichkeitsentwicklung (das innere Baby, das innere Kleinkind, das innere Schulkind, der innere Jugendliche etc.) und durch die Verinnerlichung der wichtigsten Bezugspersonen. Auch das ist etwas ganz Normales und wird in der Fachsprache Introjektion genannt.


Wir tragen sozusagen Kopien der Menschen in uns, die v.a. in unseren frühen Lebensjahren  eine wichtige Rolle gespielt haben - z.B. den "inneren Vater" oder die "innere Mutter". Innere Anteile können aber auch durch schlimme Erfahrungen entstehen - dann gibt es in uns verletzte Anteile, die im damaligen Erleben wie eingefroren stecken geblieben sind.


Das sind oft verletzte innere Kinder. Ursächlich sind hierfür nicht nur schwere  Traumatisierungen wie Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung, sondern z.B. auch ständiges Abgewertet-Werden oder ein instabiles Umfeld.

Das System einer Gesamtpersönlichkeit kann man sich symbolisch wie eine "innere Familie", ein "inneres Team" oder als "innere Mitarbeiter" vorstellen. Die verschiedenen "Mitglieder" kennen sich mehr oder weniger gut, können mehr oder weniger gut miteinander kommunizieren und kooperieren und haben verschiedene Talente, Ansichten oder Bedürfnisse. Kein Wunder, dass es hier zu Konflikten, in der Folge zu innerer Anspannung und je nach Ausprägung auch zu den verschiedensten Sympomatiken kommt.


Sie können sich sicher vorstellen, zu welchen Schwierigkeiten es führen kann, wenn es beispielsweise um das Erledigen der Steuererklärung geht und der innere Antreiber ("das muss auf jeden Fall noch diese Woche gemacht werden") auf den inneren Jugendlichen ("Null Bock auf sowas! Wo steigt die nächste Party?") trifft. Konfliktreich kann es auch zugehen, wenn z.B. ein innerer Teil in der Erziehung der eigenen realen Kinder konsequent sein will, ein anderer aber alles "Strenge" strikt ablehnt. Wir alle kennen solche oder ähnlich schwierige Situationen der Zerissenheit.

Noch schwieriger wird es, wenn verletzte Anteile ins Spiel kommen. Zur Verdeutlichung ein konkretes Beispiel: Herr Peter M. (38, Name geändert) sagt, er sei sehr wählerisch, wenn es darum gehe, sich auf eine Paarbeziehung einzulassen, kaum eine Frau erscheine ihm gut genug - sobald er aber einmal eine Partnerin habe, leide er unter heftigster Eifersucht. Bisher sei jede Beziehung daran zerbrochen.

In der Anamnese zeigt sich, dass die Mutter des Patienten bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist als dieser 5 Jahre alt war. Beim Besprechen wird klar, dass der damalige Junge sehr unter diesem Schicksalsschlag gelitten hat und sich schrecklich allein fühlte. Die zuständigen Erwachsenen in seinem Umfeld waren in ihrer eigenen Trauer gefangen und waren mit der Organisation des Alltags völlig überlastet. Der kleine Peter wurde zwar versorgt und betreut, für Trost und Beistand in seiner seelischen Not war jedoch niemand da.

Wir können uns in diesem Fall vorstellen, dass im erwachsenen Herrn M. ein 5-jähriger Junge existiert, der immer noch ängstlich und verzweifelt ist, sich verlassen und hilflos fühlt. Dieses innere verletzte Kind weiß nicht, dass Herr M. inzwischen erwachsen ist und jetzt viel mehr psychische Stärke zur Verfügung hat als damals. Der kleine Peter übernimmt deshalb eine wichtige Aufgabe und meldet sich jedesmal lautstark, sobald eine Frau in die (emotionale) Nähe von Herrn M. kommt - er schlägt Alarm. Der innere Junge springt dann sozusagen auf die "innere Bühne" und macht einen ziemlichen Aufstand um Herrn M. zu warnen, denn er hält es für äußerst gefährlich, sich jemals wieder an ein weibliches Wesen zu binden - man könnte ja plötzlich erneut alleine dastehen und wer weiß, ob das Gesamtsystem das nochmal verkraftet? Die Proteste des früheren verletzten Anteils haben zur Folge, dass Herr M., der unbewusst unter dem Einfluss seines inneren Kindes steht, es kaum schafft, sich auf eine nähere Beziehung einzulassen - jedesmal ergreift er vorsichtshalber die Flucht. Da dies unbewusst geschieht, findet sein Verstand natürlich gute Erklärungen für dieses Verhalten - die eine Kandidatin ist ihm angeblich zu alt, die andere zu karriereorientiert etc. Vordergründig lässt ihn das einfach nur anspruchsvoll erscheinen, im Hintergrund aber stecken tiefe Beziehungsängste.

Falls es dann doch einmal soweit kommt, dass Herr M. sich in eine Frau verliebt, bekommt der kleine Peter in ihm noch mehr Angst, denn jetzt kann er ja nicht einmal mehr vorbeugen, jetzt würde ein Verlust richtig weh tun. Er wird panisch, wähnt überall Gefahr und seine große Verzweiflung zeigt sich bei Herrn M. in Form von extremer Eifersucht. Dadurch wird natürlich jede Beziehung stark belastet und es kommt leider immer wieder zu Trennungen. Durch jede Trennung aber sieht sich der innere Junge in seiner Befürchtung bestärkt und reagiert in Zukunft noch sensibler - was dazu führt, dass sich Herr M. als immer weniger beziehungsfähig erlebt.
 

Wie kann man sich die therapeutische Arbeit mit inneren Anteilen konkret vorstellen?

In der Therapie geht es zunächst darum, am Geschehen beteiligte innere Anteile überhaupt aufzuspüren und sie langsam kennenzulernen. In unserem Beispiel lernt Herr M. seine Gedanken, Körperreaktionen und Emotionen wertfrei wahrzunehmen (durch regelmäßige Achtsamkeitsübungen und die Installation eines inneren Beobachters). Auf diese Weise kann er in Kontakt mit seinem verletzten inneren Kind kommen und sich immer mehr mit ihm vetraut machen. Er wird in der Folge nicht mehr länger mit seinem Verhalten hadern, sondern ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für den 5jährigen Peter entwickeln. Parallel kann ihm dieser zu verstehen geben, was er braucht, was ihm helfen könnte die Angst zu reduzieren und die  Anspannung auszuhalten.


Herr M. wird auch seine kompetenten erwachsenen Anteile besser kennenlernen und herausfinden, welche Ressourcen er hat und wieviel Kraft in ihm steckt. Mit der Zeit wird Herr M. in der Lage sein, sein inneres verletztes Kind imaginativ selbst zu versorgen, es zu trösten und ihm Sicherheit zu geben. In der Folge wird der kleine Peter Vertrauen in die Kompetenz des Erwachsenen fassen können, immer weniger agieren müssen, Ruhe geben .. und Herr M. wird in Paarbeziehungen zunehmend besser zurecht kommen.

Grundsätzlich gilt: die Arbeit mit inneren Anteilen wird ganz individuell auf jeden Klienten abgestimmt und besteht hauptsächlich aus Gesprächen und imginativen Übungen (siehe hierzu auch "mehr zum Thema Trauma"). Im gesamten Prozess kann das therapeutische Sandspiel eine sehr große Hilfe sein.